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Rezension Young@Heart: Dokumentarisches Kino und Musik jenseits aller Altersgrenzen

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Schlagworte: DokumentarfilmDot FriendsFilmKinoKritikRezensionYoung@Heart

Im Dokumentarfilm „Young@Heart“ begleitet Regisseur Stephen Walker einen Chor aus Rentnern, die sich eine ungewöhnliche Aufgabe gestellt haben: die Bühne so richtig zu rocken.

Das Plakat zum Film Young@Heart von Stephen Walker
Young@Heart von Stephen Walker

Dokumentarfilme sind eine seltsame Sache: Obwohl sie einen gewichtigen Teil der Filmproduktion ausmachen und es zahlreiche Beispiele für enorm wichtige Dokumentarfilme in der Filmgeschichte gibt (Stichwörter: „Drifters“ von John Grierson oder „À propos de Nizze“ von Jean Vigo), sind sie nicht gerade als Blockbuster berühmt und fristen ihr Dasein häufig im Schatten ihrer fiktionellen Brüder. Dabei lohnt sich oft ein genauerer Blick auf dieses Genre, das nach ganz eigenen Regeln funktioniert. Ein gelungenes Beispiel für dieses verkannte Genre möchte ich nun rezensieren, das derzeit in den deutschen Kinos läuft: "Young@Heart" von Stephen Walker.

Wie es zu dieser Rezension gekommen ist

Vor einigen Tagen erreichte mich die Anfrage von dot-friends.com, mir die Filme „Wolke 9“ und „Young@Heart“ kostenlos im Kino anzusehen, um darüber eine Rezension zu schreiben und diese dann in meinem Blog zu veröffentlichen. dot-friends arbeitet im Auftrag der Senator Entertainment. Ich habe dieser Anfrage zugestimmt, da mich die beiden Filme interessieren und die Aktion unabhängig von meiner Bewertung der Filme ist.

Young@Heart oder: Liebe zur Musik kennt keine Altersgrenzen

Walkers Film spielt in der amerikanischen Kleinstadt Northampton, in der Chorleiter Bob Cilman einen Chor aus Senioren zwischen 75 und 93 Jahren zusammengestellt hat. Die Chormitglieder, allesamt eher Anhänger traditioneller Klassik und Musicals, werden von Cilman vor eine ungewohnte Herausforderung gestellt: Er sucht sich Stücke aus, die rocken. Er entscheidet sich für Songs wie Coldplays „Fix You“ neben „Schizophrenia“ der New Yorker Avantgarde-Punks Sonic Youth oder „Road to Nowhere“ von den Talking Heads. Seine Arbeit wird erschwert dadurch, dass sich die Sänger den Text von James Browns "I Feel Good" nicht merken können oder durch körperliche Gebrechen beeinträchtigt werden.

Regisseur Stephen Walker begleitete den Chor über sechs Wochen, während derer sich die Mitglieder auf ein Konzert in ihrer Heimatstadt vor rund 1000 Menschen vorbereiteten. Dabei gelang ihm nicht nur ein kurzweiliges Portrait einer außergewöhnlichen Gruppe, sondern ein Film zwischen fast schon satirischer Komik und tiefer Tragik.

Ein Film zwischen Komik und Tragik

älterer Mann sitzt auf einem Stuhl
Chormitglied Fred Knittle im Musikvideo zu Road to Nowhere

Komisch sind nicht nur die bissigen Kommentare der Chormitglieder, sondern vor allem die eigens für den Film gedrehten Musikvideos, die immer wieder eingeflochten werden. In bester MTV-Ästhetik mit rasanten Schnitten und poppigen Farben rocken sich die Chormitglieder in Rollstühlen durch "I Wanna Be Sedated" der Ramones oder als in der amerikanischen Einöde gestrandete Cowboys in "Road to Nowhere". Dann jedoch auch die andere Seite des Alters: nur eine Woche vor dem großen Auftritt muss der Chor den Verlust zweier Mitglieder verkraften, die überraschend verstorben sind. Walker begleitet den Chor durch ihre Trauer, macht jedoch auch Mut: denn der Chor denkt nicht eine Sekunde lang ans Aufhören. Sie widmen ihre Songs den verstorbenen Kameraden, anstatt von der Trauer gelähmt vor sich hin zu brüten. Unvergessen bleibt dabei Fred Knittles berührende Version von "Fix You" beim Konzert, eigentlich als Duett geplant. Knittles tiefer Vortrag und das Wissen um den Verlust geben dem Stück dabei eine ganz andere Dimension als die brechende, dünne und weinerliche Stimme von Chris Martin im Original.

Fazit

Walkers Film ist ein bewegendes Dokument eines ungewöhnliches Themas. Der Chor „Young@Heart“ widersetzt sich dabei nicht nur unreflektierten Jugend-Klischees, sondern macht auch unglaublich viel Mut, dass die eigenen Ziele nicht von äußeren Faktoren abhängen. Er bringt dem Zuschauer die älteren Menschen nahe, als seien sie die eigenen Großeltern, und konfrontiert ihn mit der Trauer, ohne ihn im Stich zu lassen. Ästhetisch changiert er dabei zwischen emotionalen Konzertaufnahmen und apathisch anmutenden Krankenhausfluren, zwischen langsam geschnittenen Nahaufnahmen der Gesichter und rasant geschnittener Videoclip-Manier. Es ist ein Film, der dem Zuschauer die Menschen hinter einem vorbildlichen Projekt nahebringt und den man jedem ans Herz legen kann.