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Stephan Schwingeler beim Tag der Medienwissenschaft Computerspiele als Medienkunst

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„Computerspiele als Medienkunst“ – beim diesjährigen Tag der Medienwissenschaft hatten das Fach Medienwissenschaft und der Verein medianetz Trier Dr. Stephan Schwingeler zu Gast, Pionier auf dem Gebiet der Game Studies und selbst Absolvent des Fachs. Er berichtete aus medienwissenschaftlicher Perspektive über einen Bereich, den wir viel zu selten in den Blick nehmen. Wie werden Computerspiele in der Medienkunst eingesetzt?

Stephan Schwingeler: „Computerspiele als Medienkunst“

Stephan Schwingeler identifzierte drei Strömungen bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Computerspielen:

  • Anfangs wurden Computerspiele eher aus der Film- und Literaturwissenschaft betrachtet, die sie als Texte begriffen.
  • Als Gegenbewegung entstand später die kritische Spieleforschung, die verstärkt die spielerischen Aspekte der Games in den Blick nahm.
  • In Tradition der Bildwissenschaft werden Spiele als Bilder erforscht, die uns einladen, in fremde Welten einzutauchen. Stephan Schwingeler spricht hier von einem „spatial turn“ der Game Studies, durch den Spiele als navigierbare Räume in den Blick geraten.

Kunstgeschichte der Computerspiele

Stephan Schwingeler spricht beim Tag der Medienwissenschaft
Dr. Stephan Schwingeler referierte über Computerspiele als Medienkunst

Nach diesen einführenden Worten zeichnete Stephan Schwingeler eine kurze Mediengeschichte künstlerischer Computerspiele. Als erstes Spiel, das im Kontext des Kunstfestivals Ars Electronica gezeigt wurde, gilt „ArsDoom“ aus dem Jahr 1995. Peter Weibel, heute beim ZKM in Karlsruhe, hatte den Künstler Orhan Kipcak mit der Konzeption eines Kunstwerks in Spieleform beauftragt – entstanden ist eine Modifikation auf Basis des Shooter-Klassikers „Doom II“. Spieler bewegen sich darin durch eine virtuelle Nachbildung des Brucknerhauses in Linz und treffen dabei auf riesige Köpfe verschiedener Künstler. Aus den Waffen des Originals werden in „ArsDoom“ ebenfalls künstlerische Artefakte, etwa das berühmte Kreuz von Joseph Beuys, mit dem man den Monsterköpfen zu Leibe rücken kann. Stephan Schwingeler ordnete „ArsDoom“ als „grobe Satire“ ein, die wie eine „Rache des Mediums Computerspiele am Kunstbetrieb“ wirke.

Nach „ArsDoom“ etablierten sich Computerspiele ab 1995 als künstlerisches Medium. Als Gründe dafür sieht Stephan Schwingeler zum einen eine neue Generation von Künstlern, die mit Computerspielen aufgewachsen seien. Außerdem habe es eine Rolle gespielt, dass Künstler Zugang zu Computerspielen als Material erhielten.

Kleine Geschichte der Computerspiele

Die Geschichte des Computerspiels ist dabei eng mit der des Computers selbst verknüpft: „Menschen fingen an, mit Computern zu spielen, sobald sie Zugang dazu hatten.“ Bereits 1958 entwickelte William Higinbitham mit „Tennis for Two“ das wohl erste Videospiel der Geschichte. Es basierte auf einem Oszilloskop, das eigentlich dazu gedacht ist, elektrische Spannungen sichtbar zu machen – ein klassischer Hack, bei dem eine Technologie für neue Verwendungszwecke genutzt wird. Es folgte der Klassiker „Spacewar!“ auf dem frühen Computer PDP-1 aus dem Jahr 1962, das von Steve Russell entwickelt worden war. Es ist nicht nur durch seinen Pionier-Charakter, sondern auch noch in einer anderen Hinsicht wegweisend: Der Programmcode selbst war frei zugänglich und konnte jederzeit kopiert oder verändert werden.

Die einst oppositionellen Computerspiele wurden also in den 1970ern selbst zu einer Institution, gegen die KünstlerInnen erst seit den späten 90er Jahren wiederum Verfahren der Appropriation und Umwidmung einzusetzen beginnen.
Claus Pias, Zukünfte der Computer

In den 1970er Jahren entwickelt sich das Computerspiel zu einem veritablen Massenmarkt – der Programmcode ist nun geheim, in Automaten oder Module eingeschlossen. Für die Medienkunst erschwert dieser restriktive Umgang mit dem Programmcode die Beschäftigung mit dem Thema. Später jedoch entstehen Communities, die Spiele modifizieren – oft als Fan-Projekte. Der geschlossene Charakter von Computerspielen wird von Künstlern wie Cory Arcangel und seinen „Super Mario Clouds“ aufgegriffen, bei dem er die Spielmodule demontiert und modifiziert. Bei „Super Mario Clouds“ bleiben so lediglich die charakteristischen Wolken des Spieleklassikers „Super Mario“ übrig – jedoch nicht als Film, sondern noch immer live vom Programm selbst erzeugt.

Künstlerische Strategien bei der Arbeit mit Computerspielen

Wie gehen Künstler nun vor, wenn sie Computerspiele als Material in der Medienkunst verarbeiten? Stephan Schwingeler identifizierte in seinem Vortrag vier Strategien:

  1. Neudekoration: Vorgefundene Spiele werden künstlerisch verändert. Das bereits erwähnte „ArsDoom“ ist dafür ein Beispiel, oder auch Hunter Jonakins „Jeff Koons Must Die!“, bei dem der Künstler einen eigenen Arcade-Automaten konstruiert hat. Aufgabe des Spielers: Kunstwerke von Jeff Koons zerstören.
  2. Reduktion und Abstraktion: Spiele werden auf grundlegende Bestandteile reduziert. Beispiele dafür wären das erwähnte „Super Mario Clouds“ oder „Mario Battle No. 1“ von Myfanwy Ashmore. Dabei wird die Spielmechanik von „Super Mario Bros.“ genutzt, jedoch in einen vollkommen neuen Kontext gesetzt: Alle Gegner, Gegenstände und Fallen sind beseitigt, so dass die Spielerfahrung eine völlig andere ist.
  3. Handlung und Performance: Bei dieser Strategie werden Spiele als Handlungen aufgegriffen – Fokus der künstlerischen Beschäftigung ist hier die Idee, dass man in Spielen handeln kann. Diese Handlungen werden für künstlerische Werke genutzt. In „dead-in-iraq“, einer Performance von Joseph DeLappe, taucht der Künstler in das Spiel „America’s Army“ ein. Das Game wurde von den amerikanischen Streitkräften zu Rekrutierungszwecken entwickelt. DeLappe nutzt es hingegen für seine Kunst, indem er als Spieler in den virtuellen Gefechten seine Waffe wegwirft und die Namen gefallener Soldaten in den Chat postet.
  4. Zerstörung: Die letzte Strategie erzeugt regelrecht unspielbare Spiele. In „SOD“ von JODI wird die Spielmechanik von „Wolfenstein 3D“ so stark verfremdet, dass nur noch Reste des Spiels erhalten bleiben. Der Bildschirm ist abgesehen von geometrischen, schwarzen Objekten weiß, aber dennoch kann sich der Spieler durch den dreidimensionalen Spielraum bewegen. Fragmente des Spiels bleiben erhalten – Geräusche oder eine punktförmige Waffe etwa. Der Spieler kann jedoch nicht wirklich sinnvoll in der Welt agieren. Damit erinnern die Künstler an andere Werke wie etwa Robert Rauschenbergs „White Paintings“ oder Nam June Paiks „Zen for Film“.

Medientheorie: Kunst mit Computerspielen zwischen Transparenz und Opazität

Schließlich ging Stephan Schwingeler auf einige medientheoretische Überlegungen zum Computerspiel ein. Normalerweise sei es die Funktion des Mediums, unsichtbar zu sein – der Spieler soll in eine Spielwelt eintauchen und sich ganz auf den Inhalt konzentrieren können. Stephan Schwingeler bezeichnet dies als Transparenz: Das Medium wird unsichtbar. Und doch gebe es immer wieder Momente, in denen ein Spiel an seine Grenzen stoße und das Medium sichtbar werde (Opazität). Die künstlerische Beschäftigung spielt oft mit diesen Gegensätzen. Im 256. Level von Pacman beispielsweise können sich die Spielfiguren buchstäblich im Programmcode verheddern. Das Programm basiert auf 8 Bit, was 256 mögliche Werte ergibt (2 hoch 8), in denen die Level gespeichert werden. Wichtig zu wissen: Die Bit-Zählung beginnt immer bei 0 (2 hoch 0 ist 0), so dass Werte von 0 bis 255 möglich sind. Eigentlich sollte das Spiel endlos sein – so lange ein Spieler noch Leben übrig hat, sollte immer wieder ein neues Level erzeugt werden – im Zweifel halt wieder der erste, wenn das finale Level erreicht ist. Ein Bug in der Programmierung sorgt jedoch dafür, dass der Level-Zähler auf 256 überspringt – der Speicher läuft über und erzeugt unsinnge Code-Aufrufe. Die rechte Hälfte wird daher mit Buchstabensalat gefüllt; in der linken wiederum gibt es nicht genug Punkte zu ergattern, um das Level abzuschließen. Wer es also so weit schafft, stellt fest: Pacman ist ein unlösbares Spiel.

Medienwissenschaftler berichten aus ihrem Beruf

Neben dem inspirierenden Hirnfutter über Computerspiele als Medienkunst gab es auch handfeste Tipps für den Berufseinstieg. Zu Gast waren die beiden Alumni Lisa Keimburg von den Medienanstalten und Julian Ermert von der Agentur zebralog (Bonn).

Jugendmedienschutz und Bürgerbeteiligung

Lisa Keimburg arbeitet als Referentin Jugendmedienschutz und Öffentlichkeitsarbeit und berichtete aus ihrem beruflichen Alltag, bei dem sie nicht nur Texte formulieren und die Website pflegen müsse, sondern auch mit einen großen Teil Projektmanagement betraut sei. So gehe es darum, Aufträge zu vergeben und zu prüfen, Veranstaltungen zu organisieren und Messeauftritte zu planen.

Julian Ermert erläuterte aus der Arbeit bei einer forschungsorientierten Agentur. Zebralog habe sich crossmedialen Projekten der Bürgerbeteiligung verschrieben. Sein Tätigkeitsspektrum umfasse dabei die Konzeption, Redaktion und Kommunikation quer zu allen Tätigkeiten rund um das Thema Bürgerbeteiligung. Auch hier spiele Projektmanagement eine zentrale Rolle.

Drei Referenten auf der Bühne
Lisa Keimburg und Julian Ermert berichteten aus ihrem beruflichen Alltag, moderiert von Christof Barth

Most wanted: Projektmanagement

Projektmanagement war dann auch ein Thema, das aus Sicht beider Referenten im Studium zu kurz käme. „Es gab viel, was ich in blutigen Nasen lernen musste“, erläuterte Julian Ermert mit einem Augenzwinkern. Doch sei Projektmanagement außerhalb der praktischen Arbeit schwer zu vermitteln, weil der Kontext stimmen muss. Das Studium hat nach Ansicht beider Referenten jedoch viele wichtige Fähigkeiten vermittelt. Lisa Keimburg hob hervor, dass sie an der Universität gelernt habe, selbstständig zu arbeiten und sich ein Thema zu erarbeiten. Zudem sei Grundlagenwissen zum deutschen Mediensystem, zum Verhältnis von Medien und Politik sowie Medientheorien wertvoll gewesen. Explizit nannte sie auch ihre Erfahrungen im Rezeptionslabor. Es sei wichtig zu wissen, wie Inhalte von den Menschen rezipiert werden. Julian Ermert pflichtete ihr bei und erläuterte, dass das Recherchieren in ungekannten Themengebieten sehr wichtig ist. „Neulich musste ich mich in kürzester Zeit darin einarbeiten, welche Arten von Deponien es gibt – da muss man fokussiert riesige Dokumente durcharbeiten“, erzählte er. Strukturelles Denken sei wichtig, etwa die Frage, welche Akteure miteinander interagieren. Seine Aufgabe sei es, schwierige Dinge verständlich darzustellen.

Tipps für den Übergang zum Beruf

Auffällige Gemeinsamkeit: Beide Referenten beschrieben, dass der Übergang von Studium zum Arbeitsleben fließend war. Lisa Keimburg beendete ihre Magisterarbeit, während sie bereits eine Trainee-Stelle innehatte. Julian Ermert erzählte, dass er schon während seiner Masterarbeit für zebralog gearbeitet habe. Lisa Keimburg hob jedoch hervor, dass es auch nicht weiter ungewöhnlich sei, wenn man nach dem Studium eine gewisse Zeit benötige, bis man im richtigen Beruf unterkommt. „Bei vielen meiner Freundinnen konnte ich das beobachten – doch sie sind alle in guten Jobs gelandet“, machte die Medienwissenschaftlerin dem Nachwuchs Mut. Auch solle man auf die teilweise langen Vorlauffristen bei Bewerbungen achten und sich ruhig auch schon während der Examensphase bewerben.

Natürlich spürt man den Übergang ins Berufsleben. „Im Studium ist man sehr flexibel, im Beruf jedoch durch die Bürostruktur stärker festgelegt“, erzählte Lisa Keimburg. „Ich habe mir schon während der Magisterarbeit eine Struktur geschaffen und feste Arbeitszeiten eingehalten – aber ich kann mir vorstellen, dass es Menschen sicher schwerer fällt, die gerne nachts arbeiten.“

Für Julian Ermert sei es die größte Umstellung gewesen, sich prägnanter und kürzer zu fassen. „Oft hat man für ein Konzept nur wenige Tage Zeit, bevor ein Kollege daran weiterarbeitet. Da muss man auf den Punkt kommen.“ Effektives Arbeiten und ein selektiver Blick auf das Wesentliche seien daher wichtig.

Lohnt sich der Master?

Lässt man es beim Bachelor oder setzt man einen Master drauf? Julian Ermert beobachtet, dass der Master die Regel ist, wenn er auch nicht zwingend notwendig sei. Jedoch rage das Zweitstudium immer stärker in den Berufsalltag hinein und biete die Möglichkeit, sich zu spezialisieren. Überhaupt solle man im Berufsleben stärker auf seinen Bauch und die Gelegenheiten hören, die sich bieten. „Ein Stück weit ist es natürlich Schicksal, wo man landet – aber man kann es in die gewünschte Richtung beeinflussen, wenn man über ein Thema geht“, erklärte Julian Ermert. So sei es wichtig, sich in einem Thema eine Expertise aufzubauen, die am Markt gefragt ist. „Das heißt nicht, dass man Scheuklappen haben darf – man soll überall hinein schnuppern, aber auch immer wieder zu seinem Markt zurückgehen.“

Ehrung der Absolventinnen und Absolventen

Schöne Tradition mittlerweile ist die alljährliche Ehrung der aktuellen Absolventinnen und Absolventen, ob im Bachelor, Master oder auch noch Magister. Es würde endgültig den Rahmen dieses Beitrags sprengen, jedes Thema so zu würdigen, wie es es verdient hätte – ich war beeindruckt von der Bandbreite, die in den Arbeiten abgedeckt wurde.

Stolze Absolventinnen und Absolventen zeigen ihre Zertifikate
Ehre wem Ehre gebührt: die Absolventinnen und Absolventen der Medienwissenschaft 2015

Einige Eindrücke von der Ehrung findet ihr hier: