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Barefoot into Cyberspace (Becky Hogge) Kopfüber ins Netzuniversum

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Schlagworte: Barefoot into CyberspaceBecky HoggeeBookHackerNetzkulturNetzpolitikReviewWikiLeaks

Becky Hogge hat mit „Barefoot into Cyberspace“ ein freies Buch über die digitale Gegenkultur veröffentlicht. Sie schreibt über Hacker und Visionäre, die in den Kommunikationstechnologien eine Chance auf eine freiere Gesellschaft sehen oder gesehen haben. Ob die Leser damit  diese digitale Gegenkultur verstehen können?

Hackerkultur: Auf der Spur der Geschichte

Das Werk beginnt da, wo viele Hackergeschichten beginnen: in Berlin – genauer gesagt auf dem Chaos Communication Congress, der jährlich vom Chaos Computer Club (CCC) organisiert wird. Der CCC und die Geschichte der Hackerkultur bildet auch den ersten Teil ihrer Abhandlung. Dabei stößt die Leserin auf geflügelte Worte der Netzkultur wie etwa „free as in freedom“ (loc 200) und lernt, warum Freiheit die Grundlage des Netzes ist – und jenes so empfindlich auf Angriffe auf dieselbe reagiert.

Becky Hogge vor einer Wand
Becky Hogge geht mit „Barefoot into Cyberspace“ der Hackerkultur auf den Grund und analysiert netzpolitische Entwicklungen im UK

Lizenz: Becky Hogge Press Shot von Kathryn Corrick, CC BY

Dabei gelingt es der Autorin tatsächlich, dem Leser die Hackerkultur näher zu bringen, etwa in jenem Zitat über die Kommandozeile, die vielen so kryptisch vorkommt, für den Hacker jedoch integraler Bestandteil seines Lebens darstellt:

The command line is the best place to see the conversation betweeen man and machine taking place.
Becky Hogge 2011, Barefoot into Cyberspace, loc 151

So ist das Buch eine gute Einführung in die Geschichte der Hackerkultur – doch wer sich ein wenig mit der Materie auskennt, wird wenig Neues finden, insbesondere im Vergleich zu Steven Levys epochalem „Hackers – Heroes of the Computer Revolution“. Ein Glück, dass es damit noch nicht vorbei ist.

WikiLeaks: Chronik sich überschlagender Ereignisse

Ein wichtiger Teil von Becky Hogges Werks hängt sich an die Fersen von WikiLeaks und behandelt damit die jüngeren Ereignisse der digitalen Kultur. Sie beleuchtet die Beweggründe der Akteure aus erster Hand und hinterfragt, ob der Journalismus der gesellschaftlichen Beobachtung noch gewachsen ist. Dabei konfrontiert sie ihre Interviewpartner durchaus mit kritischen Fragen. In mehreren Kapiteln erzählt sie ausführlich von den sich überschlagenden Ereignissen. So entsteht ein lückenloses Nachschlagewerk für die Geschehnisse rund um die Whistleblower-Plattform, dem aber ein wenig erhellende Analyse fehlt – zu sehr verbleibt die Autorin in diesem Teil in der journalistischen Berichterstattung und ihren Hintergrund-Interviews.

Nun sind die Geschehnisse rund um WikiLeaks so unübersichtlich und in ständiger Bewegung, dass es für eine erschöpfende Analyse noch zu früh wirkt. Dass Becky Hogge die Fähigkeit dazu hat, beweist sie in anderen Teilen ihres Werks.

Netzpolitik im UK: Hier wie dort

Die stärksten Kapitel sind in der Mitte des Buchs – zum einen, weil sie zentrale netzpolitische Fragen behandeln, die in Deutschland wenig beachtet wurden, zum anderen aber auch dank der interessanten Überlegungen.

Eindrucksvoll sind ihre Ausführungen zur Lage in Großbritannien: Am Digital Economy Bill und an der No2ID-Kampagne erfährt der Leser, wie auch im UK um das Netz gestritten wird. Das ist gerade für uns deutsche Netizens interessant, denn während es bei uns eher die konservativen Teile der Politik sind, die Bürgerrechte im Netz einschränken möchten (auch das allerdings schon mit starken Einschränkungen), so waren es im UK die eher links stehenden Parteien. Dazu passen Hogges hochinteressante Ausführungen, warum Netzpolitik weder links noch rechts zu verordnen sei, sowie die Idee, woher die Missverständnisse zwischen Politik und Netzkultur stammen:

Just like Bill Gates, government thinks that web users are not web-creators but web-consumers, and seeks to regulate the web as if it were a service being provided by companies like Google, Yahoo! and Facebook.
Becky Hogge 2011, Barefoot into Cyberspace, loc 1219

Cover von Becky Hogges „Barefoot into Cyberspace“
„Barefoot into Cyberspace“ ist in verschiedenen Formaten unter einer CC-Lizenz verfügbar

Lizenz: Cover von „Barefoot into Cyberspace“ von Becky Hogge, CC BY SA

In der Folge widmet sich Becky Hogge der spannenden Frage, was eigentlich aus den Hoffnungen der Pioniere geworden ist. Das Netz galt und gilt als Freiheitsmedium, doch die jährlichen Reporte der Open Net Initiative werden zunehmend pessimistisch und berichten von zunehmenden Versuchen, das Netz überwachen und kontrollieren zu wollen (vgl. loc. 1325) – und die von westlichen Regierungen kritisierte Überwachungssoftware wird meist von westlichen Unternehmen programmiert. Solche Widersprüche sind spannende Themen für Diskussionen mit anderen – Becky Hogge lässt ihre Leser daran teilhaben.

Interviews mit digital residents: Futter für eigene Reflektionen

Für das Buch hat sie eine beeindruckende Zahl von Interviews mit einflussreichen Persönlichkeiten der digitalen Kultur geführt. Dadurch erfährt man als Leser aus erster Hand, was diese Menschen antreibt und beunruhigt.

Ein Beispiel ist Ethan Zuckerman, Gründer von Global Voices, einem internationalen Netzwerk von Bürgerjournalisten, der als Aktivist für das afrikanische Netz immer wieder mit dem digital divide in Berührung kommt. Er berichtet von seiner Beunruhigung, weil das Internet zu großen Teilen im Besitz einzelner Unternehmen sei, was er als „[c]onsolidation in cyberspace“ (loc. 1526) bezeichnet. Ein Widerspruch zur Grundidee des Netzes – einer riesigen dezentralisierten Struktur. Und doch gebe es einen guten Grund für die zunehmende Zentralisierung – Einfachheit. Ein eigener E-Mail-Server, eigenes Web-Hosting – sehr arbeitsaufwändige Aufgaben, und teuer zudem. Noch schlimmer sehe es bei der Social Media aus, denn „Social media is almost by definition heavily centralised“ (loc. 1551) – nur so könne man seine Freunde überhaupt finden.

Und so kommt es zu einem fast schon resignierten Fazit: unsere Netzrealität sei mitnichten wie unsere Hoffnungen, und Freiheit entstehe nicht automatisch aus einer Technologie heraus:

the web is, ultimately a reflection of its users
Becky Hogge 2011, Barefoot into Cyberspace, loc. 1666

Doch irgendwie finde ich dieses Fazit hoffnungsvoll – sind doch Menschen erfahrungsgemäß der Punkt, mit dem Menschen sich am besten auskennen. Es bleibt viel zu tun, packen wir es an.

Fazit

Wer Lust hat, sich intensiv mit der Netzkultur zu befassen, mit ihren Hoffnungen und ihrer Realität sowie mit ihren unterschiedlichsten Facetten, der sollte sich Hogges „Barefoot into Cyberspace“ unbedingt anschauen. Besonders der mittlere und spätere Teil des Werkes bietet eine Vielzahl interessanter Denkanstöße. In einer Zeit, in der Veränderungen aufeinander prallen, sind Bücher wie dieses ein hilfreicher Wegbegleiter. Und ein guter Start, um sich eine stetig wachsende Leseliste mit Klassikern und Grundlagen der Netzkultur zuzulegen.

„Barefoot into Cyberspace“ ist als eBook (epub und PDF) unter einer Creative Commons BY SA veröffentlicht – viel Spaß beim Laden und Lesen.